Lateinische Weihnachtslieder haben eine weit ins Mittelalter zurückreichende Tradition*1). Dennoch oder gerade deswegen sind sie entweder im Original oder als Vorlage für deutsche Texte immer noch weit verbreitet*2). Im folgenden sollen einige gängige Lieder in ihrer Entstehung und Verwendung beleuchtet und für den Schulgebrauch vorgestellt werden. Dabei möge der Benutzer darauf achten, daß teilweise die lateinische Grammatik für Schüler des zweiten Lernjahres zu anspruchsvoll sein kann und entsprechend vorentlastet werden sollte*3).
In dulci iubilo
In dulci iubilo" ist eines der ältesten Weihnachtslieder und maßgeblich verantwortlich für das Entstehen der Kirchenlieder. Erstmals geschrieben findet man es in einer Fassung vom Anfang des 15. Jahrhunderts in der Universitätsbibliothek Leipzig, doch ist es schon im 14. Jahrhundert erwähnt*4). Dieses Lied blickt somit auf 600 Jahre Geschichte zurück. Ab dem 16. Jahrhundert hat es Einzug in alle Gesangbücher gehalten. Die meisten Überlieferungen präsentieren eine zweisprachige Fassung, in der sich Latein mit Deutsch, Niederländisch oder auch Niederdeutsch abwechselt. In dieser Zweisprachigkeit spiegelt sich der Dialog des Priesters bzw. der Gläubigen mit den Laien wider. Immerhin sprachen damals nur die Gebildeten und die Klerikalen Latein. So entstand in diesem Wechselgesang allmählich der Gemeindegesang als eigenständige Gattung von Kirchenliedern*5). Wichtig ist, daß die Zweisprachigkeit mittelalterlicher Nonnenfrömmigkeit entstammt und somit nicht auf einen Kontrast der beiden Sprachen zielte, sondern Kleriker- und Laiensprache, Liturgie- und Gefühlssprache als einander ergänzende und durchdringende Elemente einheitlicher Devotion gebraucht"*6)Neben der bekannten lateinisch-deutschen Version findet sich auch eine rein lateinische*7), die neben ihrer Sprache auch dadurch auffällt, daß jede Strophe aus zehn Versen statt wie sonst aus acht Versen besteht. Diese Liedvariante ist ebenfalls schon für das 15. Jahrhundert bezeugt, allerdings nur für den niederländischen und niederdeutschen Raum. Ob aber die rein lateinische Version die Urfassung darstellt, wird von den Fachleuten kontrovers diskutiert*8). Ich vermute jedoch, daß die gemischtsprachige Fassung hier die originale ist, weil bei einer rein lateinischen die Idee des Wechselgesangs verdrängt wäre.
Im folgenden seien die lateinische Version (mit zehn Versen pro Strophe), eine zweisprachige und eine deutsche Fassung vorgestellt.
Lateinische Version
I) In dulci iubilo |
Zweisprachige Version
I) In dulci iubilo |
Deutsche Version I) Nun singet und seid froh jauchzt alle und sagt so: Unsers Herzens Wonne liegt in der Krippen bloß und leucht doch als die Sonne in seiner Mutter Schoß |: Du bist A und O :| II) Sohn Gottes in der Höh´, nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, o Kindlein zart und rein, durch alle deine Güte, o liebstes Jesulein. |: Zeuch mich hin nach dir. :| III) Groß ist des Vaters Huld der Sohn tilgt unsre Schuld Wir wärn all´ verdorben durch Sünd´ und Eitelkeit; so hat er uns erworben die ewig´ Himmelsfreud |: Eia wärn wir da! :| IV) Wo ist der Freuden Ort? Nirgends mehr denn dort, wo die Engel singen mit den Heil´gen all´ und die Psalmen klingen im hohen Himmelssaal |: Eia, wärn wir da. :| |
Quempas
Eine ähnliche Form des Wechselgesangs wie bei obigem Lied findet sich auch im Quempas, der sich als eigenständige Form eines Weihnachtsliedes bis in unser Jahrhundert erhalten hat. Der Name leitet sich von den ersten beiden Silben des Liedes Quem pastores laudavere" ab, das als den die Hirten lobeten sehre" oder bei gleicher Melodie mit dem Text von Paul Gerhardt als Kommt und laßt uns Christum ehren" in Deutschland sehr beliebt ist.Die Ursprünge des Liedes reichen bis ins 14. Jahrhundert zurück, als es für die Gemeinde noch keine Liederbücher gab und deshalb ein Schülerchor den Gemeindegliedern die Lieder vorsingen mußte. Dabei zogen die Kinder von allen Seiten beim Singen ihrer jeweiligen Textzeile in die Kirche ein oder standen auf allen vier Seiten der Kirche und sangen von dort und vermittelten eine Art Raumklang". Im ursprünglichen Quempas-Brauch folgte auf das namengebende Eingangslied Heut sein die lieben Engelein" nach dem lateinischen Nunc angelorum gloria" und die ersten Zeilen aus Magnum nomen domini" mit einer Melodievariante des Resonet in laudibus" als Wechselgesang zwischen Kindern Chor und Gemeinde*9).
Mit diesem um einige weitere lateinische Weihnachtslieder erweitertem Programm zogen besonders in Sachsen und Thüringen Gruppen von 10 Schülern an Weihnachten von Haus zu Haus, um milde Gaben zu erbitten. Vom lateinischen currere" erhielten diese Gruppen den Namen Kurrendesänger.
Der Quempas war besonders im 19. Jahrhundert so beliebt, daß die Kinder kleine Lieder-Heftchen mit kunstvoller Bildausstattung erstellten.
Ingeborg Weber-Kellermann vermutet sogar einen Nachhall dieser Liedform im Wechselgesang in dem Weihnachtslied Als ich bei meinen Schafen wacht"*10).
Quempas
Quem pastores laudavere |
Nunc angelorum gloria
Nunc angelorum gloria |
Resonet in laudibus
1) Resonet in laudibus
2) Omnes nunc concinite |
Adeste fideles
Die Überlieferungslage zu diesem doch sehr melodiösen und fröhlichen Weihnachtslied ist äußerst spärlich. Über die Melodie vermutet man, daß sie in Portugal um 1815 entstanden ist*11), doch auch Verweise auf deutschen oder französischen Ursprung finden sich in der Literatur*12). Ohne jede Begründung gibt der Vorentwurf*13) zum ev. Gesangbuch von 1988 John Francis Wade, der im Hauptberuf Lateinlehrer war, als Komponisten der Melodie und Verfasser des lateinischen Hymnus Adeste fideles" an. Von dieser Version des Jahres 1751 haben sich dann die englische Version Oh come, all ye faithful" und die deutsche Herbei, o ihr Gläubigen" parallel entwickelt, letztere getextet von Friedrich Heinrich Ranke. Die einschlägige Literatur liefert aber weder über den Komponisten noch über den Hymnus oder die Melodie irgendwelche weitergehenden Informationen.Im Internet*14) wird als Verfasser des Textes der Franziskanermönch St. Bonaventura aus dem 13. Jahrhundert genannt. Er könnte mit dem Zeit- und Weggenossen von Thomas v. Aquin identisch sein, der als zweiter Gründer der Franziskaner gilt. Auf dem Originalmanuskript von 1751 soll jedoch wieder Wade als Texter und Komponist stehen. Andererseits wird auch dem Leiter der King of Portugal´s chapel", Marcus Antonius de Fonseca, die Komposition zugeordnet.
1) Adeste, fideles, laeti triumphantes, venite, venite in Bethlehem! Natum videte regem angelorum, Refrain: venite, adoremus, venite, adoremus venite, adoremus Dominum!
2) Deum de Deo, lumen de lumine
3) Cantet nunc Io!" chorus angelorum
4) Ergo qui natus, die hodierna, |
Englische Version
1) O come, all ye faithful,
2) Sing, choirs of angels,
3) Yea Lord, we greet Thee, |
Les anges dans nos campagnes
Zu diesem schönen Weihnachtslied lassen sich die Spuren nur bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Offensichtlich handelt es sich um ein altes französisches Volkslied mit originalem französischem Text. Besonders in Frankreich und England hat es weite Verbreitung gefunden. Im folgenden seien je eine Fassung in französisch, englisch und deutsch wiedergegeben, wobei besonders im Deutschen unzählige Textvarianten existieren
Les anges dans nos campagnes
1) Les anges dans nos campagnes
2.) Bergers, pour qui cette fête
3) Il est né, le Dieu de gloire |
Angels We Have Heard on High
1) Angel we have heard on high,
2) Shepherd why this jubilee,
3) Come to Bethlehem and see,
4) See him in a manger laid, |
Deutsch 1. Version*15)
1) Engel lassen laut erschallen
2) Und es künden ihre Lieder |
Deutsch 2. Version*16)
1) Engel haben Himmelslieder
2) Hirten, was ist euch begegnet,
3) Er gibt allen Menschen Frieden, |
Deutsch 3. Version*17)
1) Hört der Engel helle Lieder
2) Hirten, sagt, was ist geschehen,
3) Denn ein Kindlein ist geboren, |
a) in dulci iubilo
praesaepium = Krippe
parvulus = ganz klein
repellere, -o = abweisen |
b) quempas laudavere = laudaverunt angelus, -i, m = Engel dixere = dixerunt
c) nunc angelorum gloria
d) adeste fideles |
Literatur:
K. Ameln: Die Cantio In dulci iubilo", Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie (29), Kassel, 1985
Dr. B. Vom Weihnachtslied Adeste fideles" in: Zeitschrift für Musik 98 (1931), S. 1081
W. Bäumker Das katholische Kirchenlied Freiburg 1911
H.-C. Drömann/A. Giering Evangelisches Gesangbuch für die Evangelisch-Lutherische Kirchen in Niedersachsen und für die Bremische Evangelische Kirche Hannover, 1994
L. Erk/ Böhme: Deutscher Liederhort; Auswahl der vorzüglicheren deutschen Volkslieder nach Wort und Weise... Bd 3, Leipzig2 1925
I. Weber-Kellermann: Das Buch der Weihnachtslieder Mainz, 1982
Nachtrag, bzw. korrigierte Fassung:
LATEINISCHE WEIHNACHTSLIEDER
Im folgenden Beitrag werden drei bekannte Weihnachtslieder vorgestellt, deren Ursprung direkt auf das Lateinische zurückgeht. Neben einem Einblick in ihre Entstehungsgeschichte sollen sie auch in einigen Sprachen präsentiert werden, in die sie Einzug gehalten haben, so daß eine fächerübergreifende Behandlung im Unterricht möglich ist.
Es folgen die von mir gefundenen Parallelen zu Adeste Fideles". Bei Bonaventura habe ich die wesentlichen Parallelen unterstrichen, bei Johannes Wirziburgensis ist das wohl nicht nötig!!
Bonauentura(1217/18-1274) - Sermones dominicales
sermo : 21, par. : 2, linea : 43
Gaudeamus inquam propter incrementum nostrae laetitiae exsultemus propter fructum nostrae fiduciae domino gloriam demus propter incrementum nostrae victoriae et dicamus Christo triumphatori cum laetitia nostri cordis tu spes nostri certaminis tu gloria nostri generis quia omnes adversarios superasti. In nascendo namque contulit consortium naturae in patiendo vero beneficium gratiae sed in resurgendo complementum gloriae. Hoc autem paschale gaudium et infinitum gloriae beneficium desiderans propheta David fieri in diebus suis exclamabat fragrantissimis desideriis dicens : exsurge domine salvum me fac etc. in quo quidem verbo rectissimo ordine tria notantur videlicet dominicae resurrectionis affectuosa exclamatio captivi hominis perfecta liberatio et diabolicae potestatis iusta exterminatio. Hodierna namque dies dominus noster Iesus Christus virtute propria resurrexit captivum hominem de diabolica potestate liberavit et diabolum cum eius exercitu in profundum maris inferni submersit. Primo igitur notatur dominicae resurrectionis affectuosa exclamatio cum dicit exsurge domine scilicet a mortuis secundo captivi hominis perfecta liberatio cum subdit salvum me fac tertio diabolicae potestatis exterminatio cum subinfert quoniam tu percussisti omnes adversantes mihi sine causa.in sermones dominicales
ed. J.G. Bougerol 1977 (Bibl. Franciscana Scholastica Medii Aevi T. XXVII)Iohannes Wirziburgensis(12. Jahrhundert) - Peregrinatio linea : 170
In Bethleem nova stella duce venerunt tres reges ab Oriente venerari natum Iesum et ut regem angelorum adorare, presentantes ei mistica munera aurum, thus et mirram.
in: CM 139 (R.B.C. Huygens, 1994), p.79-138
*1 - Die Informationen zu diesem Artikel konnte ich nur mit Hilfe des Deutschen Volkslied-Archivs in Freiburg beschaffen. Den Herren Dittmar und Müller gebührt dafür mein aufrichtiger Dank.*2 - es seien als Beispiele genannt: Kommt und laßt uns Christum ehren" (quem pastores laudavere), Joseph, lieber Joseph mein" (resonet in laudibus), Ein Kind geborn zu Bethlehem" (puer natus in Bethlehem, Mischlied aus dem 14. Jh.), Den geboren hat ein Magd" (quem nunc virgo peperit; 14.Jh.), Nun komm, der Heiden Heiland" (veni redemptor gentium) oder auch Stille Nacht" (Alma nox, tacita nox); der Text zu letzterem Lied sei hier nach Weber-Kellermann, S. 165 wiedergegeben: I) Alma nox, tacita nox! // Omnium silet vox, // sola virgo nunc beatum // ulnis fovet dulcem natum, // pax tibi puer, pax! II) Alma nox, taciza nox! // Angeli sonat vox // Halleluja! O surgite // pastores hic accurrite // Christus deus adest. III) Alma nox, tacita nox! // O Jesus tua vox // amorem redemptos esse clamat // in tuo natali
*3 - z.B. könnten die Ablativi Absoluti grege relicto" oder stella duce" aus adeste fideles" Schwierigkeiten bereiten
*4 - zur Datierung: Erk-Böhme III, S. 637f.
*5 - Ameln, S. 42 und Weber-Kellermann, S. 29
*6 - B. Wachinger in : Verfasserlexikon 4. Bd. Berlin/New York 1983, S.370, zitiert bei Ameln, S.43
*7 - die rein lateinische Fassung ist unter Anpassung an die aktuelle Rechtschreibung zitiert aus Bolte: Zeitschrift für deutsche Philologie 1889, S. 141
*8 - Erk-Böhme hält die zweisprachige Variante für die originale und auch Ameln läßt in seiner Argumentation für die gemischtsprachige Fassung keinen Zweifel diesbezüglich aufkommen
*9 - dazu: Weber-Kellermann, S.130
*10 - a.a.O. S. 60; sie datiert das Lied nach Erk-Böhme S.654 auf 1623
*11 - so Weber-Kellermann, S. 173 und Dr. B. a.a.O.
*12 - vgl. Bäumker S. 439
*13 - dieser Entwurf wurde mir im Deutschen Volkslied-Archiv zugänglich gemacht; das aktuelle ev. Gesangbuch gibt als Komponisten den Organisten John Reading an, der die Melodie vor 1681 geschrieben haben soll.
*14 - aus dem Internet sei der Vollständigkeit wegen die folgende Variante präsentiert. Sie unterscheidet sich von der zitierten in der zweiten und dritten Strophe, die vierte entspricht bis auf die erste Zeile unserer dritten.
en grege relicto humiles ad cunas // vocati pastores approperant // et nos ovanti gradu festinemus // Refr.
Stella duce, Magi Christum adorantes // aurum, tus et myrrham dant munera // Iesu infanti corda praebeamus // Refr. Bei diesen Versen sollten die grammatikalischen Schwierigkeiten bei den Ablativi Absoluti beachtet werden, vgl S. 1 dieses Artikels cantet nunc hymnos chorus angelorum etc.*15 - Text: Heinz Cammin in K. Haus, F. Möckl: Lied International, München, 1980, S.184
*16 - Deutscher Text: Liselotte Holzmeister, 1951 © Fidula-Verlag.
*17 - Text: Otto Abel (1. Str.), Gustav Wirsching (2. + 3. Str.) in: H.-P. Banholzer u.a.: 333 Lieder zum Singen, Spielen und Tanzen, Stuttgart 1996, S. 198
viele der Anregungen erhielt ich über Frank Petersohn aus Canada und seine Datenbank zu deutschen Volksliedern. Näheres unter http://ingeb.org im Internet
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